Museumspreis des hbs kulturfonds
an Dr. Sabine Wolfram, Thomas Spring und Prof. Uwe R. Brückner
für die Gestaltung des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz

L a u d a t i o
von Prof. Dr. Gerhard Kilger
Gründungsdirektor der DASA und Initiator des Szenografie-Gipfels
Chemnitz, den 19. Januar 2015

Hier in einem ehemaligen Kaufhaus - ist etwas Erstaunliches passiert: Ein neues Museum ist in dieses für Museumswesen nicht geschaffene Bauwerk eingezogen und zwar auf eine derart geniale Art und Weise, dass wir es heute als eines der innovativsten und erfolgreichen Neugründungen feiern dürfen. Ebenso erstaunlich ist es, dass es eine Stiftung gibt, die sich vorgenommen hat, solche Vorhaben auszuzeichnen. Das Ehepaar Heinz und Brigitte Schirnig hat diese Idee mit der hbs kulturstiftung verwirklicht; diese Stiftung ist mittlerweile in den hbs kulturfonds umgewandelt, der von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung betreut wird. Nicht ganz zufällig war der Stifter Dr. Heinz Schirnig doch lange Jahre Geschäftsführer der Sparkassenstiftung. Der hbs kulturfonds will mit seinem Museumspreis vor allem Ausstellungen auszeichnen, in denen ungewöhnliche Ideen verwirklicht werden und denen Ästhetik und Didaktik ein individuelles Gesicht geben. Beides ist Grund zur Freude! Um so mehr bin ich selbst zu großem Dank verpflichtet, auf Einladung dieser großartigen Stiftung hier und heute die Laudatio für diese Auszeichnung halten zu dürfen.

Da die innovativen Ideen von Personen geschaffen wurden, wird der Museumspreis des hbs kulturfonds an Kuratorinnen oder Kuratoren, an Ausstellungsgestalterinnen oder Ausstellungsgestalter vergeben, die an einer aktuellen Ausstellung in einem Museum oder Ausstellungshaus maßgeblich mitgearbeitet haben. Hier im smac konnte ich feststellen, dass nicht nur ein innovatives Konzept zugrunde liegt, sondern dass eine beispielhafte Szenografie geschaffen wurde. Dies - und das muss vor allem hervorgehoben werden - in einem guten Zusammenwirken der beteiligten Akteure. Da dies vielerorts nicht gelingt, zeigt sich gerade hier, welche Qualität durch Synergie ganz unterschiedlicher Fähigkeiten und durch einen besonders motivierten Prozessablauf möglich ist. Dass dies im Ausstellungswesen gegenwärtig eine Schlüsselfrage ist, hat auch die Notwendigkeit eines Szenografie-Gipfels gezeigt, bei dem ein enger Kreis von Experten des Museumswesens, der Hochschulen unnd der Gestalterbüros einen jährlichen Diskurs über die Zukunft einer neuen Qualität der Ausstellungkultur führen.

Für das Zustandekommen des innovativen Konzepts, der beispielhaften Szenografie und dem guten Zusammenwirken im smac stehen wesentlich drei Akteure:

1. Dr. Sabine Wolfram als Leiterin des smac ab 2012 trägt die Verantwortung. Sie hat als Archäologin und Museumsexpertin vor allem die entscheidende Realisierungsphase fachlich und organisatorisch gesteuert, wobei des ihr gelungen ist, sehr viele Beteiligte einzubinden und zu integrieren. Ich selber habe Sabine Wolfram erst im latzten Jahr in Liepzig kennen gelernt: gerade hatte ich nach 25 Jahren als Museumsdirektor meinen Ruhestand dangetreten, als ich nun mit einer Persönlichkeit ein intensives Gespräch führen konnte, die wie ich damals ein neues innovatives Museum zum Leben erwecken durfte.

2. Thomas Spring hatte die Projektleitung bis 2012 inne. Er wurde bis zur Fertigstellung bestens integriert, viele der konzeptorischen und gestalterichen Ideen tragen seine Handschrift. Thomas Spring hat Kunst und Philosophie studiert und ist heute ein wichtiger Experte und Kurator. Ich habe ihn bei den Planungsarbeiten zu EXPO 2000 kennengelernt, als Projektleiter des Themenparks "Zukunft der Arbeit" hatte er mit mir als Beirat und Kooperationspartner zu tun. Wahrscheinlich war diese fachliche und organisatorische Herausforderung die beste Voraussetzung für seine heutige kuratorische Tätigkeit.

3. Uwe Brückner hat mit der unverwechselbaren Handschrift der weltweit angesehenen Ausstellungsagentur "Atelier Brückner" eine ganz neue, zukunftsweisende Meisterleistung der Szenografie an den Tag gelegt. Uwe Brückner ist ursprünglich Bühnenbildner und Architekt, zugleich ist er auch Künstler, denn nicht nur die Ästhetik der Raumbildung sucht ihresgleichen, sondern er selbst skizziert und dokumentiert die Gestaltungsplanung mit dem Stift in einer künstlerischen Qualität, wie ich sie selten sehen konnte. Obwohl wir gemeinsam nie eine Ausstellung realisiert haben, kennen wir uns seit vielen Jahren sehr gut. Er gehört wie ich zu den wenigen Leuten, die sich die Szenografie zur Passion gemacht haben: Die großen Szenografie-Kongresse im deutschsprachigen Raum wurden entweder von ihm in Basel, Sturrgart und Ludwigsburg oder von mir in Dortmund veranstaltet.

Diesen drei Personen soll der Museumspreis zugedacht werden. Darüber hinaus soll aber die Leistung vieler anderer, die zum Gelingen des Projektes beigetragen haben, nicht verschwiegen werden. Unter der Leitung von Frau Dr. Wolfram ist ein kleines, aber kompetentes Team tätig, das unvergessliche Tage mit den Aufbauarbeiten erlebt hat. Von ganz besondere Bedeutung waren die Arbeitsgruppe des Landesamts für Archäologie in Dresden sowie einige externe Kuratoren für die Sammlung und das wissenschaftliche Konzept. Und selbstverständlich wäre die szenografische Leistung nicht ohne ein kreatives und hoch motiviertes Team im Atelier Brückner denkbar gewesen. Im smac sind die integrativen Ansätze Methode. Sabine Wolfram hat dies so auf den Punkt gebracht: "Wie kaum in einer anderen Wissenschaft greifen in der Archäologie die forschende Untersuchung im Gelände, die wissenschaftliche Analyse der Befunde und der Funde und die Vermittlung der Ergebnisse ineinander." Sie gehört zu denen, die heute die Archäologie ganz übergreifend als lebendige Menschheitsgeschichte verstehen.

Vor genau drei Jahren, im Januar 2012, hatte Thomas Spring in einem Vortrag das smac im Szenografie-Kolloquium in Dortmund vorgestellt. Dort hatte er hervorgehoben: "Ausstellungen und Museen sind auch als explizit gesellschaftliche Veranstanltungen zu verstehen, die Objekte in Bedeutungsträger und Bilder von sich verwandeln und in einer Art inversen und umgekehrten Theater versammeln, in dem im Drama zwischen Publikum und seinen in die Objekte gespiegelten theoretischen Interesse zur Aufführung kommt." Und auf demselben Kolloquium in Dortmund sagte Uwe Brückner: "Die Szenografie überbrückt die Distanz zwischen Rezipient und Raum und verortet den Betrachter in die dramaturgische Abfolge von choreografischen Räumen. Im Parcours manifestieren siech drei große Indikatoren der Szenografie: Raum, Zeit und Narraton."

Aus dem Zusammenwirken dieser drei Zitate können Sie sich vorstellen, welcher Geist die Planungarbeiten des smac ausmachte. Doch dann fragen Sie immer noch zurecht, welche ungewöhnlichen Ideen bei der nun sichtbaren Ausstellung verwirklicht wurden und welche Ästhetik und Didaktik ihr ein individuelles Gesicht geben, wie dies der Auslobungstext des hbs kulturfonds fordert. Das Neue und Ungewöhnliche der herausragenden Szenografie besteht darin, dass sie beim Publikum - sei es bei Fachleuten, interessierten Laien oder auch Jugendlichen - beim Besuch der Ausstellung einnen "Zustand" schafft, den ich selbst gern als Phänomen der "Nähe" bezeichne. Dies muss ich natürlich in Kürze erläutern. Den Begriff Nähe empfinden wir ganz selbstverständlich als etwas, das auf irgendeine Weise um uns herum ist und das man begreifen und betrachten kann. Meist verstehen wir dies als subjektiv und die Sprache kennt Worte wie rechts und links oder oben und unten, was sich selbstverständlich ändern kann, wenn wir selbst den Standort ändern. Bekannt ist aber auch, dass in den Naturwissenschaften von ganz objektiven Nah- und Fernwirkungen die Rede ist, und jedes Kind kennt schon die nahe Wirkung eines Magneten. Schon viel weniger bekannt ist, dass die objektiven Nahwirkungen bei der menschlichen Wahrnehmung neurologisch zusammengefasst werden. Z.B. müssen die Informationen vom Licht gegenüber den durch langsamere Schallwellen transportierten akustischen Signalen im Gehirn kurze Zeit warten, damit ein eindeutiges Ereignis erkannt werden kann. Das geht natürlich nur in einer gewissen Nähe, in größerer Distanz wird das Ereignis wie Blitz und Donner getrennt wahrgenommen.

Das besondere an dieser Betrachtung ist, dass dieser wahrgenommene Bereich von Nähe als Phänomen einen anderen Zustand besitzt als Ferne. Natürlich sagt uns unser Verstand, dass die Wahrnehmung an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit entsprechend wäre, doch die Annahme, der Zustand der Nähe würde sich linear in Entfernung fortsetzen, täuscht. Tatsächlich ist Nähe in einem anderen Zustand, wie etwa Wasser, Dampf und Eis sich in ihrem Zustand - dem Aggregatzustand - unterscheiden. In einem Bereich der Nähe kann es auch kausal zu ganzheitlichen Wechselwirkungen kommen, wie das Experiment eines Streichholzes mit zunehmender Nähe an ein Benzinfass sehr eindrücklich bestätigen würde. Das vermeintlich triviale Phänomen der Nähe bedarf also tatsächlich einer näheren Betrachtung, wenn es darum geht, Räume zu schaffen.

Und Szenogrfie hat durch gekonnte Raumbildung die Aufgabe, einem breiten Publikum Inhalte zu vermitteln. Dieses Publikum kommt bekanntlich sehr selten mit intentionaler Absicht, sondern es sucht einen interessanten Erlebniswert, der den oft aufwändigen Museumsbesuch lohnt. Gute Szenografie muss dabei dem Anspruch gerecht werden, diese Erwartungshaltung zu erfüllen und dazu wesentliche Inhalte auf spannende Weise zu vermitteln. Entscheidend dafür ist dabei der kognitive und affektive Zustand, in dem sich Publikum befindet. Sind es die seit Jahrzehnten museologisch beschriebenen Zielgruppen, die im "aktiven Dösen" das "windowshopping" dekorativer Raumgestaltung genießen? Oder gelingt es zukünftig, durch gute Vermittlung beim Publikum einen Zustand der Faszination und des Staunens herzustellen, der dem Aufwand einer hochwertigen Ausstellung gerecht wird?

Genau das ist durch die Szenografie im smac gelungen! Ob beispielsweise im "Neandertaler-Labor" ganz partizipative oder vor dem Panorama der "Alltagswand" eher kontemplative Zustände des Publikums hervorgerufen werden, auf dem gesamten Rundgang im smac habe ich Besucherinnen und Besucher erlebt, die durch Staunen, Faszination, Freude, Interesse und Neugier die Ausstellung erkundet haben. Fast könnte man annehmen, dass die Begeisterung bei rauer Feldforschung, wissenschaftlicher Auswertung und kreativen Ausstellungsentwürfen - wie sie Sabine Wolfram auf den Punkt gebracht hatte - beim Erlebnis der Ausstellung in den Reaktionen des Publikums wieder auftritt. Dazu sollte der vorher beschriebenen - vielleicht noch etwas zu theoretische - Exkurs dienen: Die außergewöhnliche Szenografie hat es geschafft, durch Raumgestaltung, Ästhetik und Didaktik "Nähe" zu erzeugen, die durch die ganzheitliche phänomenale Wahrnehmung Zustände bei den Menschen erzeugt, die als Empathie beschreibbar ist - im Verweilen im "Hier und jetzt". Vielleicht hilft hier zum Verständnis auch ein alter Begriff, der vor ungefähr hundert Jahren neben dem Sammeln, Forschen und Bewahren als viertes Kennzeichen von Museen in einschlägigen Museumsdefinitionen zu finden war: die "Erbauung". Ein Bewusstseins- oder auch Seelenzustand, der in irgendeiner Weise höher einzustufen wäre als ein vorheriger - vor Ausstellungsbesuch -, könnte auch heute demjenigen entsprechen, was Publikum von einem Erlebnis in einem Museum erwartet.

Das smac hat mit seiner Darstellung von 300.000 Jahren Menschheitsgeschichte nicht nur eine Bedeutung für Sachsen. Für viele Menschen, die auch von weiterer Entfernung die Region kennen lernen wollen, ist es Grund, Chemnitz zu besuchen. Die Auszeichnung des Museumspreises möge dazu beitragen, die Wahrnehmung in ganz Deutschland und vielleicht auch darüber hinaus herzustellen. Ich wünsche, dass dem Museum genügend Werbemittel zur Verfügung stehen, dass es auch für die kommenden Jahre mit diesem Pfund wuchern kann. Die Auszeichnung des Museumspreises möge auch dazu beitragen, dass alle Verantwortungsträger und Geldgeber in ihrer Überzeugung gestärkt werden, dass hier eine gute Investition gelungen ist, die es wert ist, weiterhin gut ausgestattet zu werden. Ganz offensichtlich liebt die breite Öffentlichkeit ihr neues Museum und ist gespannt auf kommende Sonderausstellungen und Veranstaltungen. Die Dauerausstellung hat hier einen hohen Maßstab gesetzt, für das Team von Frau Dr. Sabine Wolfram ist dies eine große Herausforderung. Möge auch hierbei der Museumspreis nützlich sein, um die genügende Unterstützung und einen lagfristig gediegenen Etat für die weiterhin erfolgreiche Arbeit des smac möglich zu machen. Möge der Museumspreis sowohl für Thomas Spring als auch für Uwe Brückner nicht nur die eine gebührende Auszeichnung, sondern einen Anreiz darstellen, die gewonnenen Potentiale auch in die Zukunft ihres Wirkens für die neue Qualität der Ausstellungskultur einzusetzen.

Mit nochmaligem Dank an die hochherzigen Stifter des Museumspreises gratuliere ich dem Land, der Stadt und der Region zu diesem neuen Museum und den Persönlichkeiten Dr. Sabine Wolfram, Uwe Brückner und Thomas Spring zu diesem Preis.