Laudatio

Von Dr. Judith Oexle, Dresden

als der kleine Beirat, den Heinz Schirnig als Stifter des Museumspreises berufen, anfragte ob ich die Laudatio auf den diesjährigen Preisträger übernehmen würde, habe ich gerne zugesagt.

Landschaft ist konnotiert. Der Kunsthistoriker Martin Warnke hat uns in seinem schönen, 1992 erschienenen Band „Politische Landschaften“ auf die ideologische Formung und Deutung von Landschaft im Dritten Reich hingewiesen. Wer in der ehemaligen DDR mit offenen Augen durch die fruchtbaren Landschaften der Magdeburger Börde oder der Lommatzscher Pflege gefahren ist, der konnte nicht übersehen, wie sehr die Enteignung aller bäuerlichen Betriebe über 100 ha, die Flucht der Großbauern und adeligen Landeigentümer, die reale Landschaft aber natürlich auch die Topographie mentale grundstürzend verändert haben. Barockgärten wurden zu Sportplätzen, gesprengte Schlösser und Gutshäuser sind uns als große, bewachsene Tumuli in der Landschaft überliefert. Und mit den Menschen, die ihren Besitz verloren, verschwand zum Beispiel die in Sachsen über anderthalb Jahrhunderte gepflegte Tradition von archäologischen Sammlungen des Landadels.

Kulturlandschaften erfuhren tiefgreifende Transformationen aber nicht nur im 19.Jh. durch die Industrialisierung oder im utopiegesättigten 20.Jh.. Archäologen wissen, dass unterschiedlich konnotierte Transformationsprozesse seit dem Neolithikum zum zentralen anthropologischen Erfahrungswissen gehören. Kontraktionen und Expansionen, d.h. Abbildungen demographischer Prozesse in der Landschaftsnutzung können wir inzwischen nicht nur in Sachsen ziemlich präzise beschreiben. Wir kennen die Regionen hoher longue durée, so das Elbtal zwischen dem böhmischen Melnik und dem sächsischen Meißen , das als Teil eines bedeutenden Verkehrs- und Kommunikationsweges von Kontraktionsphasen zwar betroffen, aber nie derart in Mitleidenschaft gezogen war wie z.B. Ostsachsen. Ganze Regionen sind dort über zwischen dem 6. Jahrtausend v. Chr. und dem 13. Jh. n. Chr. Jahrhunderte hin immer wieder unbesiedelt und es sind genau die Landschaften, die jetzt durch den rapiden Bevölkerungsrückgang in ihrer demographischen, politischen und sozialen Struktur sehr gefährdet sind. Die Schulschließungen sind schmerzlich, aber nicht zu vermeiden, da die Menschen mit den Füssen abstimmen. Die Wüstungsprozesse sind in Stadt und Land schon jetzt unübersehbar und unüberhörbar ist aber auch der Ruf, das Landschaftsbild unter Schutz stellen, Gelder (woher auch immer) zu bewilligen, um Landschaftspfleger zu beschäftigen. Wenn sich schon alles ändert, dann soll die Landschaft wenigstens so bleiben wie sie ist – auch wenn das heutige Landschaftsbild Mitteldeutschlands keine fünfzig Jahre alt ist. In Landschaften ist reale, emotionale Heimat verortet, im Raum liegt die Zeit, auch die eigene Lebenszeit.

Ökonomisch erfolgreiche Transformationen sind einfacher zu ertragen als Schrumpfungsprozesse, die deswegen Angst auslösen, weil Verlust nicht durch wirtschaftlichen Erfolg kompensiert werden kann. Daher rührt der Ruf „die Kirche im Dorf“ zu lassen, auch wenn jeder weiß, dass die Jungen in Westeuropa sind, es die Kirchgemeinde der Alten in dreißig Jahren nicht mehr geben wird und der Pfarrer schon längst nicht mehr vor Ort ist.

Wie schaffen wir es eigentlich, diese Transformationsprozesse zu kommunizieren und Handlungsräume zu öffnen? Sie wissen sicherlich , dass die Quote der Extremwähler in Sachsen in demographiegeschädigten Regionen signifikant hoch ist – dieser Befund lässt ermessen, was uns bevorsteht.

Archäologen vertreten neben den Geographen, die wissenschaftliche Disziplin, die Landschaftswandel erklären können, die in Bildern und Gegenständen erklären können, dass nichts immer so war, wie es jetzt ist. Dies wäre eine ermunternde Botschaft, wenn es Archäologen gäbe, die sich einmischen.

Mamoun Fansa ist ein Vertreter dieser raren Spezies. Er mischt sich ein - mit zwei Dauerausstellungen zu Moor und Geest in Nordwestdeutschland: Beide Ausstellungen sind inhaltlich couragiert, da sie eben nicht in der ländlichen Idylle des Spätmittelalters enden, sondern auch aufzeigen, wie erfolgreich Landwirtschaft heute im Oldenburgischen betrieben wird. Zugleich ist es Mamoun Fansa gelungen, fächerübergreifend vorzügliche Wissenschaftler einzubinden und sie dafür zu gewinnen, Fachinhalte so zu übersetzen, dass sie auch ohne Spezialwissen zu verstehen sind. Wer genau hinsieht, findet in diesen beiden Ausstellungen, Wissen über das Gestern, was für das Morgen nutzbar ist.

Archäologen neigen zu „analoger“ Kommunikation ihres Wissens über Raum und Zeit, d.h. zu abbildenden Darstellungen vergangener Lebenswelten. Lackprofile, das animierte Modell, Inszenierungen von Gräberfeldern, Visualisierungen des „prallen Leben in der Urgeschichte“ sind immer wieder ästhetisch schwierige „Grenzgänge“, die nicht wirklich spannend sind, weil ihnen die Spannung fehlt. Ich weiss von meinen beiden neunjährigen Kindern, dass sie Empire earth und google map spannender finden.

Mamoun Fansa hat aus Sicht der Jury der Heinz und Brigitte Schirnig Stiftung nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Visualisierung der antiken Welt Maßstäbe gesetzt. Er hat nicht (man sehe mir die Formulierung nach) den Hausgraphiker zum Ausstellungsmacher befördert, sondern er war mutig und hat gefragt, welcher Bilder der Vergangenheit es bedarf, um Wahrnehmbarkeit zu erzeugen. Seine Entscheidung, mit Künstlern wie Rainer Wittenborn zusammenzuarbeiten, hat diesem Haus eine bemerkenswerte Balance zwischen Abstraktion und Anschaulichkeit geschenkt, die Wirklichkeit wird gebrochen und genau dadurch in einer sensiblen, feinen Ästhetik sichtbar. Diese ungewohnte Sicht lässt Besucher aufmerken und verstört den Fachwissenschaftler. Mit gelungenen Visualisierungen, die bis Graphik und Typographie des Kataloges durchgehalten sind, gewinnt Mamoun Fansa auch „Kunden“, die normalerweise nur Kunstausstellungen besuchen.
Ich bin persönlich bin für mutige Kommunikation von Wissen sehr dankbar und ich halte sie, sehr geehrter Herr Minister, für politisch unverzichtbar. In Mitteldeutschland ist es inzwischen unübersehbar, dass die politischen Ränder, rechts und links, Landschaften besetzen, indem sie sie mythisch überhöhen. Wintersonnenwendfeste, Germanentänze an heiligen Orten, sind Ausdrucksformen grassierenden Neoheidentums. Es sind junge Leute, die sich unter www.eldaring.de unter einem rot blinkenden Runenlogo versammeln Im Alltag sind es vielfach nicht die großen Helden, die sich als Mitglied der Rabensippe“ das Sippensymbol eintätowieren lassen. Ihnen aber dürfen wir die Kommunikation der antiken Welt nicht überlassen. Die Museumspädagogik, die Maoun Fansa nie als Beiwerk, sondern immer als konstitutiven Teil der Museumskommunikation begriffen hat, gewinnt auf diesem Hintergrund eine ganze besondere Bedeutung.

Die Jury der Neiz- und Brigitte Schirnig Stiftung hat entschieden, Ihnen und Ihrem Haus den Museumspreis für dieses gelungene neue Bild der alten Welt , für Ihre beiden Ausstellungsteile den diesjährigen Museumspreis zu verleihen.